TOMORROW IS A LONG TIME | ab 18
Nichts als Stille... Es wehte kein Lüftchen, er konnte weder den Wind in den Bäumen hören, noch das Zwitschern von Vögeln. Er hörte nichts, bis auf seinen langsamen Atem und seine leisen Schritte auf der asphaltierten Straße. Wie spät war es wohl? Seine Uhr funktionierte schon seit Tagen nicht mehr, er wusste es nicht. Wäre er doch damals bloß zu den Pfadfindern gegangen, so wie seine Mutter es ihm gesagt hatte. Dann hätte der junge Mann sich womöglich am Stand der Sonne orientieren können. Doch er war so ein typisches Stadtkind gewesen, hatte sich niemals sonderlich für die Natur und ein Leben abseits jeglicher Zivilisation interessiert. Kinobesuche, Videospiele, Fernsehen - das war seine Welt gewesen. Keine Wanderungen, keine Campingsausflüge, nicht mal in den Zoo war er gern gegangen. Der junge Mann blieb plötzlich stehen, schulterte sein Gewehr und drehte den Kopf. Nein, gehört hatte er nichts. Dennoch sah er sich um, tat dies alle paar Meter. Man konnte ja nie wissen, man musste vorsichtig sein. Er war allein, glaubte manchmal tatsächlich, der letzte Überlebende in San Diego zu sein. Völlig auf sich gestellt, seit Wochen hatte er keinen anderen Menschen mehr gesehen. Nur noch solche, die einmal welche gewesen waren... Er war einsam, er lebte in Angst, er hatte kein Ziel vor Augen, glaubte kaum noch an ein Morgen. Überleben... Darum ging es hier, nicht um mehr. Oder nicht um weniger? Er konnte es nicht sagen, wusste es nicht. So vieles wusste er nicht. Wann hatte er das letzte mal gelacht? Wann zuletzt in Ruhe geschlafen? Und wann hatte er das letzte Mal gesprochen? Inzwischen konnte er sich nicht einmal mehr an den Klang seines eigenen Namens erinnern...
• • •
Es begann mit dem Zerfall des öffentlichen Lebens. Arztpraxen, Krankenhäuser, Schulen… binnen kurzer Zeit wurden die dramatischen Auswirkungen von Peruflu überall in West- und Mitteleuropa sichtbar. Zuerst meldeten sich Kollegen nach der Impfung im Büro und glaubten an eine normale Überreaktion. Ein Tag Bettruhe und alles würde sich erledigen. Manche kamen tatsächlich wieder, einige wurden in Krankenhäuser eingeliefert und an den Tropf gelegt. Andere jedoch gehörten zu den ersten Opfern des mutierten Virus und gaben unwissentlich weiter, was sich in ihren Körpern ausbreitete. In den Großstädten brach der öffentliche Personennahverkehr zusammen, das Militär – durch die Impfung selber ausser Kraft gesetzt – konnte die öffentliche Ordnung nicht aufrecht erhalten und konzentrierte sich auf die größten geographischen Krisenherde, Großstädte und Ballungszentren. Führende Politiker und Mediziner wurden als erste evakuiert und auf sichergeglaubte Inseln oder Armeestützpunkte gebracht. Wo die Führungsriege der Politiker ausfiel entstanden provisorische Führungsstäbe, um eine Ausweitung der Krankheit zu verhindern. Erste Befehlshaber waren oft die Falken des Militärs, die Hardliner, denen jedes Mittel recht war. Wozu hatte man denn ein gut ausgestattetes Arsenal, wenn nicht genau für solche Notfälle?
Ferngelenkte Raketen, Hubschrauber, Kampfjets, Flugzeugträger, was vorhanden war wurde eingesetzt. Ohne Rücksicht auf Städte oder Menschen. Doch mit welchem Ergebnis? Das eh schon desolate Vertrauen der Überlebenden konnte dadurch nicht zurück gewonnen werden, ganz im Gegenteil. Fehlende Informationen begünstigten Paranoia und bestärkten Vorurteile. Irgendwann wusste keiner mehr, ob das Virus nicht auch Obst und Gemüse befallen konnte, ob es sich inzwischen nicht schon wieder weiter entwickelt hatte und ob es da draußen überhaupt noch Überlebende gab. Beziehungsweise, ob jeder Überlebende, dem man begegnete, auch wirklich gesund war. Dieses Mistrauen, zuerst entstanden durch die Frage, wer ist Schuld an der Katastrophe, wer hat geschlampt, wer vielleicht ein Auge zugedrückt, verhinderte von Anfang an ein konstruktives Zusammenarbeiten verschiedener Nationen und Organisationen. Staat um Staat wurden Grenzen geschlossen, Barrieren errichtet und Flüchtlinge mit teils drastischen Mitteln zurück gewiesen. Eine Regierung nach der anderen zerfiel und irgendwann hörte das Militär in den jeweiligen Ländern auf, die Reste der Zivilisation zu bewahren, wo doch alle Bemühungen bis jetzt ohne Erfolg verliefen. Es galt: Jeder ist sich selbst der Nächste!
Nach drei Monaten war die Seuche bis nach Asien und Afrika vorgedrungen, wo die unbewohnten, lebensfeindlichen Weiten abseits der Zivilisation ihrer Ausbreitung fürs Erste verlangsamte. Dort wo die Infizierten nicht hin gelangten, sorgten tierische Wirte, vor allem Zugvögel, für die Verschleppung in die entlegensten Winkel. Plötzlich war auch eine Insel keine sichere Bank mehr und nur, weil man sich in den entlegensten Winkel des Landes geflüchtet hatte, in die Berge oder in die tiefsten Wälder, hatte man nicht das letzte Paradies für sich beschlagnahmt.
Tomorrow is a long TimeEin Grippevirus mutierte durch einen Impfstoff und führte so zu einer noch gefährlicheren Seuche.
Das Militär bombardierte die eigenen Großstädte und Ballungszentren, um der Lage Herr zu werden.
Die öffentliche Ordnung brach gänzlich zusammen, jeder ist auf sich gestellt.
Schauplatz: San Diego und Umgebung (Kalifornien, USA)
Zeit: Das Jahr 2014
System: Szenentrennung
Rating: 18+